@Freigeist38 Ich finde auch, man muss sich von dem Gedanken trennen, dass nur die, die irgendwas erarbeitet haben, ein Existenzminimum verdienen.
Auch ein schlimmer krimineller der nie im Leben einen Finger gerührt hat muss genug zu essen haben. Das sind grundlegende Menschenrechte und das speist sich laut unserem Verfassungsgericht beim Thema Hartz 4 auch aus Artikel 1 GG, den man nicht ändern kann (zum glück):
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/11/ls20191105_1bvl000716.htmlDie zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich „unwürdiges“ Verhalten nicht verloren. Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche Bedürftigkeit vorliegt.
Der Gesetzgeber MUSS das Existenzminimum gewährleisten. Er kann Sanktionen bemühen, aber diese müssen SEHR, SEHR gut begründet sein.
Das Verfassungsgericht ließ in die Urteilsbegründung mit einfließen:
Die Forschungslage ist insbesondere in den Methoden, der Repräsentativität und Aussagekraft und in den Ergebnissen uneinheitlich. Es wird daher auch immer wieder auf die unbefriedigende Datenlage hingewiesen. So lasse sich eine Kausalität zwischen Leistungsminderung und der Arbeitssuche und dem Übergang in Beschäftigung nicht belegen (vgl. Götz/Ludwig-Mayerhofer/Schreyer, IAB-Kurzbericht 10/2010, S. 4; Wolff/Moczall, IAB-Forschungsbericht 11/2012, S. 31, 36, 65). Ob verhängte Sanktionen die Mitwirkungsbereitschaft durch eine Intensivierung der Arbeitssuche erhöhen, ist bislang empirisch nicht belegt. Ebenso ist bislang nicht untersucht und aufgrund der ubiquitären Wirkung auch kaum verifizierbar, wie hoch die sogenannte ex ante-Wirkung von Sanktionen, also der Effekt schon aufgrund ihrer Existenz oder Androhung, auf die Mitwirkungsbereitschaft einzuschätzen ist (Apel/Engels, a.a.O. 2013, S. 50).
Es ist gar nicht belegt, ob Sanktionen zu höherer Beschäftigung führen. Deshalb ist auch bei einer 100% Sanktion die Verhältnismäßigkeit nicht gewährleistet, wenn damit andere Grundsätze empfindlich angegriffen werden.
Der ganze Part 2 der Urteilbegründung enthält solche Zweifel an der Wirkung von Sanktionen:
Darüber hinaus wird mehrfach berichtet, dass in der Praxis tatsächlich gesetzlich nicht vorgesehene Ermessensspielräume in Anspruch genommen werden, weil eine rechtlich gebotene Sanktionierung tatsächlich keinen Sinne mache, denn sie erreiche das Gegenteil von dem, was eigentlich bezweckt sei (vgl. Karl/Müller/Wolff, ZsfRSoz 2011, S. 101 <124 f.>; Bundesrechnungshof, Unterrichtung an die Bundesagentur für Arbeit über die Prüfung der Umsetzung der Sanktionsmöglichkeiten nach § 31 SGB II, Gz: 31170-2010-0783, 2012, S. 10; Götz/Ludwig-Mayerhofer/Schreyer, IAB-Kurzbericht 10/2010, S. 5; vom Berge u.a., IAB-Stellungnahme 2/2015, S. 33).
Es gibt also, gerichtlich gewertet, keine eindeutigen Belege für die Wirksamkeit von Sanktionen, vereinzelt aber sogar Hinweise darauf, dass sie schädlich sein können.
Außerdem kommt es in der Praxis zu enormen Problemen, die ebenfalls gewertet worden sind:
Der Deutsche Anwaltverein berichtet von Problemen der Praxis. So seien Personen mit multiplen Vermittlungshindernissen besonders häufig von Sanktionen betroffen, und neurologisch-psychiatrische Grunderkrankungen oder ähnliche der Vermittlung in den Arbeitsmarkt entgegenstehende Sachverhalte würden oft erst vor Gericht aufgeklärt.
Also auch hier sieht das Gericht durchaus als für das Urteil wertbar an, dass viele eigentlich gar nicht arbeitsfähige (bzw. zur Arbeitssuche fähige) Menschen von Sanktionen betroffen sind (obwohl das gar nicht sein dürfte) und das erst vor Gericht rauskommt (wenn es vor Gericht geht. oft tut es das nicht).
Insgesamt sehe ich bei diesen Urteilsbegründungen wirklich nicht, wie denn die Regierung vorhat, das Ganze einzuführen. An Artikel 1 und Artikel 20 hat sich nichts geändert, an den Umständen die zur Urteilsbegründung geführt haben auch nicht.